Kurz vor dem Weckerklingeln schlingen sich zwei Ärmchen um den Hals der Mutter. Gretel verlagert ihre Schlafstelle von ihrem ins Bett der Mutter. Diese drückt ihr Mädchen gerne an sich, gibt ihr ein Küsschen und streichelt ihr zärtlich das Haar, bis sie wieder eingeschlafen ist.

Die Mutter selbst bleibt wach. Zu viele Dinge gehen ihr durch den Kopf, zu wenig Zeit verbleibt, bis der Wecker klingelt.

Im seichten Licht des Handydisplays schaut die Frau ihrer Tochter beim Schlafen zu.

Bald wird sie aufstehen müssen. Erst die Mutter und kurz darauf auch Gretel. Zwischendurch muss Hänsel geweckt werden.

Hänsel. Am Vorabend hat er seiner Schwester versucht, die aktuellen Jugendwörter beizubringen. Das Mädchen empfand die Kreationen eher als Fantasiewörter und hat mit der Erfindung weiterer ihren Bruder leicht in den Wahnsinn getrieben. Die beiden haben gelacht, erfunden und geflucht. Zumindest das Fluchen aber fand mit Worten statt, die die Mutter auch verstanden hat.

Nach einem kurzen Arbeitstag sind mittags bereits alle wieder zu Hause. Es steht eine Lieferung an, auf die sie alle drei sehnsüchtig warten. Oma und Opa eilen kurzzeitig als Unterstützung herbei, die Lieferung aber lässt auf sich warten.

So spielen die Kinder im Garten, während die Mutter mit ihren Kopfschmerzen auf dem Balkon die zahlreichen Marienkäfer zählt. Und wartet.

Während sie so wartet, checkt sie ihren Posteingang auf neue Mails. Hänsels Schule hat einen Elternbrief versandt. Unsicher, ob sie diesen lesen möchte, öffnet sie die angehängten Dateien zögerlich.

Trotz des hohen Inzidenzwertes gilt weiterhin Pandemiestufe 2. Puh. Erleichterung macht sich breit. Dass es dennoch lediglich eine Frage der Zeit ist, bis sich wieder alles ändern wird, verdrängt die Mutter in diesem Moment.

Ebenso wie die Tatsache, was der Vater der beiden sich nun wieder geleistet hat. Entweder leidet der arme Mann an fortgeschrittener Demenz, oder aber an Desinteresse im Endstadium.

Gedanklich bewegt sich die Mutter daher lieber in ihrer kleinen Wochenend-Blase. Dort gibt es nichts außer ihr, ihren Kindern, dem Flammkuchen zum Abendessen und dem anschließenden Kuschelkino mit einem Sekt dazu. Das Geschirr kann, zumindest in ihren Gedanken, in die wie vereinbart gelieferte und angeschlossene Spülmaschine geräumt werden, so dass die abendlichen Streitigkeiten um das Chaos in der Küche gemindert werden. Ein bisschen Zeit ist ja noch.

Die drei essen ihren Flammkuchen. Die Kinder weniger als die Mutter. Das eklige grüne Zeug schmeckt nicht. Macht nichts, kann trotzdem gegessen werden. Schokolade ist nicht zum satt-essen da.

Irgendwie scheint die schöne Wochenend-Blase frühzeitig geplatzt zu sein. Muss Hänsel eben Sekt holen. Und Gretel auch.

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