Der Wecker klingelt. Ähnlich wie die vorangegangenen Arbeitstage lässt auch heute die Motivation der Mutter zu wünschen übrig. Gemächlich steht sie auf. Um dann festzustellen, dass die Kopfschmerzen immer noch vorhanden sind. Keine hilfreiche Feststellung.
Mit ihrem Kaffee in der Hand schaltet sie den Laptop ein. Planmäßig dürfte heute ein ruhiger Tag werden. Aber so genau kann sie das nie sagen.

Alles sieht recht entspannt aus. Kein Wunder, fangen doch alle anderen frühestens in zwei Stunden an.

Gelassen und in Ruhe arbeitet sie vor sich hin. Als Gretel eine Stunde später aufwacht, ruft sie erschrocken nach ihrer Mutter. Sie ist es nicht gewöhnt, dass die Mutter schon in der Früh draußen sitzt.

Während die Mädels ihre morgendliche Kuschelrunde also auf dem Balkon absolvieren, versucht sich Hänsel in seinem Zimmer zu verstecken. Noch geschätzt vierzig von den anfänglichen fünfzig Arbeitsblättern für die Schule hat er zu erledigen. Der Laune seiner Mutter entnimmt er, dass sie es wohl ernst meint, dass er bis zum Ende der Ferien alle erledigt haben muss. Mist. Er hatte sich so auf einen weiteren Tag nichts tun gefreut.

Daraus wird allerdings ebenso wenig wie aus dem frühen Feierabend der Mutter. Denn grade als sie den Laptop herunterfahren möchte, überrascht sie eine Teamkonferenz. Sie lauscht der Selbstverherrlichung einzelner Kollegen und den dummen Fragen von anderen, bevor sie, eine Stunde später als geplant, den Arbeitstag beendet.

Joggen wollte sie eigentlich gehen. Aber mit den Kopfschmerzen lässt sie das heute lieber bleiben. Stattdessen genießt sie, immer noch im Schlafanzug, die Sonne, während Hänsel noch ein paar Blätter erarbeiten muss und Gretel sich anzieht. Sie möchte unbedingt raus. Wieder mit dem Roller. Die Mutter möchte eigentlich nur schlafen.

Hänsel möchte, dass seine Aufgaben verschwinden und er endlich Jogurt kaufen gehen darf. Gestern Abend hat er angefangen, einen Obstsalat zu machen. Alle drei mögen ihn am liebsten mit Jogurt und Nüssen, was aber beides nicht mehr vorrätig ist. Ob Hänsel auch den Ostereinkauf übernehmen kann?

Erst einmal soll jetzt aber geradelt werden. Auf dem Weg zur Dusche schaut die Mutter bei Hänsel vorbei. Auf seiner to-do Liste hat er fleißig abgehakt, doch als die Mutter die Blätter auch sehen möchte, eskaliert es plötzlich. Es ist in diesem Fall Hänsel. Er brüllt die Mutter wutentbrannt an, dass er nicht wisse, wo die fertigen Arbeitsblätter sind. Die Mutter wird ebenfalls sauer und erwartet, dass er sie sucht. Er hat Zeit, bis sie aus der Dusche kommt. Fassungslos ob der ständigen Diskussion wegen der Schule verschwindet sie ins Bad.

Als sie nach kurzer Zeit nach Hänsel sieht, steht er angezogen und mit gepackter Tasche vor ihr. Er zieht aus. Wohin, weiß er nicht.
dreiundzwanzig Tage, insgesamt also über fünfhundertsechszig Stunden, die die beiden introvertierten und viel Zeit für sich allein brauchenden Sturköpfe schon aufeinander hocken. Die wenigen Stunden, die zumindest einer von ihnen alleine verbracht hat, fallen da kaum mehr ins Gewicht. Dazu Gretel, die partout nicht alleine sein möchte. Das ganze Drumherum. Das alles ist zu viel. Für alle drei.

Szenenwechsel.

Mutter und Tochter sind unterwegs, Hänsel alleine zu Hause.

Die Mädels machen Fotos am See, als Gretel ganz unvermittelt fragt, ob der Corona-Virus denn schwimmen kann. Verdutzt schüttelt die Mutter nur den Kopf. Bei sich denkt sie darüber nach, was wohl den ganzen Tag noch so im Kopf des Mädchens vor sich geht.

Die Kleine aber ist mit der Antwort völlig zufrieden, sie ist beruhigt, dass sich die Entchen nicht anstecken können. Glücklich spielt sie weiter mit den Maulwurfshügeln und Gänseblümchen neben dem abgesperrten Spielplatz.

Als die beiden endlich nach Hause kommen, hat auch Hänsel sich wieder beruhigt. Freudig fragt er, ob er kochen dürfe. Selbstverständlich.
Der Obstsalat wird fertig gemacht, dazu noch weitere feine Sachen. Während die Kinder fleißig in der Küche schuften, trinkt die Mutter Bier. Wie immer. Aufgemacht von Hänsel, aber einschenken und trinken kann sie immerhin selbst. Dazu Mark-Forster-Radio und Kinderlachen. Könnte schlimmer sein.

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