Der Abend ist das Highlight des Tages. Zumindest für die Mutter. Ihre Kinderklingeln und sie hört sie freudig das Treppenhinaus hinaufrennen. Gretel kommt als erstes um die Ecke und läuft ihrer Mutter strahlend in die Arme. Sie freut sich so sehr, ihre Mami wieder zu sehen – der Mutter geht es nicht anders. Auch Hänsel, der schwer bepackt minimal länger benötigt, fällt seiner Mama glücklich in die Arme.

Immer noch nicht fit bitte die Frau die beiden, auf der Couch zu reden. Schnell springen die Kinder in ihre Schlafsachen und kuscheln sich dann mit ins Wohnzimmer. Sie erzählen über ihre Zeit bei den Großeltern und alle drei sind glücklich, dass wieder alle zu Hause sind.

Da es der Mutter immer noch nicht wieder gut geht, sie außerdem fürchterlich müde ist, gehen sie ins Bett. Das Gute-Nacht-Sagen führen sie ausnahmsweise bei der Mutter durch, Hänsel deckt später seine Schwester liebevoll in ihrem Bett zu.

Im Gegensatz zu den Kindern, die jeder noch mindestens eine Sache mit der Mutter zu besprechen haben, schläft die Frau sofort ein. Auch die Dinge, die die Kinder ihr noch zu sagen haben, bekommt sie nur noch am Rande mit.

Morgens wacht die Frau auf, als der Wecker klingelt. Lange hat sie geschlafen, müde ist sie dennoch ein wenig, aber es geht ihr wieder gut. Lediglich der Rücken schmerzt, das aber liegt wohl in den vielen Stunden Liegen des gestrigen begründet.

Nur kurze Zeit nach ihr sind auch Hänsel, ihn hat sie geweckt, und Gretel, sie wurde von der Kaffeemaschine geweckt, wach. Hänsel setzt sich unmotiviert an seinen Arbeitsplatz, Gretel bereitet sich fröhlich einen Kaffee zu. Die Mutter sitzt, diesen und die nächsten Tage planend, ihrem Sohn gegenüber.

Heute werden die drei wieder Handwerkerbesuch bekommen. Dafür müssen Möbel und die Wertstoffhof-Sammelstelle verrückt werden. Kurz überlegt sie, ob sie sich auch alle anziehen sollten. Diesen Gedanken verwirft die Frau aber schnell. Es ist die sie-hat-den-Überblick-verloren-wievielte-Woche des Lockdowns, die Handwerker werden Familien in Jogginghosen zu genüge sehen.

Mittags, als Schule und Handwerker erledigt sind, bekochen die Kinder wieder ihre Mutter. Heute gibt es Cordon bleu mit Pilzen und Reis. Alle sind glücklich, dass wieder alle essen dürfen. Entsprechend gut ist die Stimmung.

Nachmittags wollen die drei die Wohnung nicht verlassen. Es ist kalt, grau und nass. So räumt Gretel ein wenig ihr Zimmer auf und Hänsel bereitet sein Referat über den Lieblingssänger seiner Mutter vor.

Verzweifelt versucht er, bei seinen Recherchen auf Informationen zu stoßen, die seine Mama noch nicht wusste. Irgendwann gibt er auf, dennoch bleibt seine Recherche gründlich. Er freut sich darüber, dass er seine Mama zwar nicht überraschen oder ihr etwas neues mitteilen kann, sie ihm aber dafür beim Vortragen helfen kann. Sie kann ihm sagen, wie die englischen Begriffe ausgesprochen werden – allein bei „memorial“ sind einige Versuche notwendig – und sie merkt sofort, wenn er Jahreszahlen durcheinander bringt. Und nicht nur, wenn er aus dem Geburtsmonat August schnell mal den 18. Monat des Jahres macht. Diese Hausaufgabe bereitet sowohl Mutter als auch Sohn große Freude. Beide freuen sich auf den Tag, an dem der Junge seine gesammelten Informationen online vortragen darf.

Abends hat die Mutter einen wichtigen Termin. Irritiert möchte Hänsel wissen, warum sie sich dann umzieht. Lachend erklärt die Frau ihrem Sohn, dass auch dieser Termin online stattfinden wird. Sie lächeln beide und fragen sich, ob sie sich jemals wieder daran gewöhnen können, in Jeans und Hemd regelmäßig das Haus verlassen zu müssen. Die Antwort ist beiden klar, aussprechen tut es keiner.


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