Nicht einmal das Lied, mit dem sich die Mutter wecken lässt, hilft heute mehr. Die Frau ist ausgelaugt, sie braucht Schlaf. Für heute aber ist die Nacht beendet. Obwohl sie insgesamt den unteren Durchschnittsbedarf an Stunden abbekommen hat, fällt ihr das Aufstehen besonders schwer.

Erst als Gretel nach dem vierten Klingeln in der Tür steht und sich zu ihr kuschelt, ist die Frau in der Lage, die Augen zu öffnen.

Sobald sie aufgestanden ist, geht es wieder. Aufs Wochenende freut sie sich dennoch. Die drei haben nichts vor, bei dem es auf die Uhrzeit ankommt. Das handhaben sie meistens so, denn alle drei brauchen diesen kleinen Luxus.

Hänsel schläft noch. Als die Mutter am Vorabend auf ihrer zweiten Gute-Nacht-Runde am Pubertier-Zimmer vorbeikommt, liegt der Junge im Bett und zockt. Verbotenerweise zocken, verbotenerweise am Schultablet. wortlos verlässt die Mutter den Raum. An diesem Morgen stürmt sie, mit wenigen Worten, ins Zimmer hinein und schmeißt ihren Sohn aus dem Bett. Freude sieht anders aus. Eher so wie am Vorabend, aber das interessiert die Mutter nicht.

Es ist noch nicht einmal sieben Uhr, viel Schlaf wird der Junge nicht erfahren haben. Sein Problem. Und dass der Lehrer, die ihn bis mittags im Distanzunterricht betreuen müssen.

Mit Kaffee sitzt die Mutter im Wohnzimmer und wartet auf ihre Kinder. Schön sieht es nicht schön aus, es ist Regen angesagt. Immerhin frühlingshafter Regen. Auf dem Balkon sitzen geht sowieso nicht, da die alten Möbel bereits zusammengeräumt sind und die neuen anstatt der angekündigten maximal fünf Tage Lieferzeit inzwischen schon bei drei Wochen sind, Ende unbekannt.

Aber daran ist die Familie inzwischen gewöhnt. So sitzen auch heute Mutter und Sohn an ihrem viel zu kleinen Tisch – auch die Lieferfrist des bestellten größeren Exemplars ist bereits überschritten – und schweigen sich gegenseitig an.

Draußen scheint die Sonne, vom angekündigten Regen keine Spur. Von den Balkonmöbeln leider auch nicht, so dass die Mutter Hänsel mit jedem weiteren Telefonat mehr nervt.

Nach dem Unterricht zieht sich der Junge in sein Zimmer zurück, während die Mutter weiter arbeitet. Später fahren sie gemeinsam, aber in getrennte Richtungen los. Hänsel fährt zum Opa, die Mutter holt Gretel ab.

Den Nachmittag vergingen sie ebenfalls getrennt. Hänsel bastelt bei der Oma und lässt sich die Haare schneiden, die Mutter lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen und Gretel tobt auf dem Spielplatz. Alle sind happy.

Bis Gretel sich verletzt und nach Hause möchte. Die Mutter bricht ihren spontanen Plausch ab und es geht heim. Wie erwartet fragt Hänsel an, ob er zum Abendessen bei seinen Großeltern bleiben darf, so dass Gretel einen Wunsch frei hat.

Fröhlich schlemmt sie das Essen weg und räumt im Anschluss ein wenig auf. Nicht ihr Zimmer, versteht sich, sondern den Flur. Hänsel ist noch nicht wieder zurück, so dass das Kuschelkino noch warten muss. Dass es draußen bereits dunkel ist, beunruhigt die Mutter nur wenig. Bei einer Nachricht hingegen verhält es sich schon anders. So bleibt sie mit einer Apfelschorle im Weinglas allein im Wohnzimmer sitzen, lauscht der neuesten Hexen-Geschichte und ist dankbar für die kleinen Dinge im Leben.


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