Heute wäre es eigentlich soweit gewesen. Der letzte Tag der Schulschließung. Dass dem nicht so ist, ist inzwischen nicht nur offiziell, sondern war eigentlich von Anfang an klar.

Dennoch wird sich etwas ändern: Hänsel geht ab morgen zwar immer noch nicht zur Schule, aber er wird seine Schulaufgaben machen. Und mutterfreie Zeit haben. Seinem Vater auf den Sack gehen. Drei Wochen lang, drei Wochen lang. Zwei von drei freuen sich. Ob die dritte, sich nicht freuende Partei nun Schwester oder Vater sind, sei einmal dahingestellt.

Der Tag beginnt verschmust. Gretel kommt zu ihrer Mutter ins Bett gekrochen und kuschelt sich in deren Arm. Gretel schläft, mit einem Lächeln im Gesicht, weiter. Die Mutter ist, mit einem bald tauben Arm und völlig ohne Kaffee, wach.

Draußen scheint die Sonne. Die Vögel zwitschern. Der Blick auf den Wetterbericht verrät, von dem angekündigten Regen ist heute nichts mehr zu sehen. Wunderbar, es wird geradelt. Wohin, darf nachher Hänsel entscheiden. Wenn er denn mitmöchte.

Die Mutter macht Kaffee und setzt sich auf den Balkon. Wie gerne würde sie dort für Stunden sitzen bleiben, ein Hörbuch hören und die Welt um sich herum einfach mal vergessen.

Stattdessen geht sie die kommende Woche durch.
Montag wird Hänsel mitsamt seiner Schulsachen abgeholt. Die Schulsachen bleiben beim Vater, so dass Hänsel ab Dienstag alleine wahlweise zu Fuß, mit dem Roller oder mit dem Fahrrad dorthin fahren kann. Das wird ihm guttun.
Dienstag hat die Mutter ein langes, aber wichtiges Meeting. Da wird Gretel dann wohl vom Babysitter gehütet. Sie darf sich aussuchen, ob Elsa, Vaiana oder Merida diese Aufgabe übernimmt.
Donnerstag steht bislang kein Termin an, Mittwoch und Freitag wird sie frei haben.
Geht ja eigentlich.

So sonnt sie sich sinnierend dahin und lauscht Konzerten, die sie nie besucht hat, als Gretel aufwacht. Sie möchte gerne Frühstück machen und holt deswegen die Kaffeetasse ab. Auch dem noch schlafenden Hänsel hat sie sein Wasser, das Lieblingsgetränk des Jungen, bereits auf den gedeckten Frühstückstisch gestellt. Sich selbst versorgt das Mädchen mit Kakao.

Frühstück gibt’s dann doch nur für die Mädels, Hänsel schläft. Und schläft. Und schläft. Ein kaputter Duracell-Hase.

Wolken ziehen auf. Das Picknick, das sich Gretel am Happy Place wünscht, wird auf einen anderen Tag verschoben.

Inzwischen ist auch Hänsel wach. Er zieht jedoch vor, in seinem Zimmer zu spielen. Er ist genervt, dass er aussuchen darf, wo es hingeht. Die Mutter beschleicht das Gefühl, dass sie sagen kann, was sie möchte, der Junge ist einfach immer genervt.

Er fragt seine Schwester nach ihrer Idee eines Ziels. Die Vorschläge findet er doof. Alle. Dass er auch alleine zu Hause bleiben könnte, findet er auch doof. Doof. Frühstück doof. Radeln doof. Daheim doof. Schwester doof. Mutter doof. Sonne doof. Zimmer doof. Alles doof.

Nur einen Augenblick später beginnt Gretel den Introsong der Grundschul-Superhelden zu singen und ein fröhlich klingender Hänsel stimmt, den Kühlschrank plündernd, mit ein.

Die Mutter versteht die Welt nicht mehr und wundert sich, dass ihre eigenen Eltern sie damals nicht zur Adoption frei gegeben haben. Oder haben sie es eventuell versucht, aber niemand wollte sie übernehmen? Schnell verwirft sie diesen Gedanken wieder.

Die Badesachen werden angezogen, sogar die Mutter passt wieder einigermaßen in ihren Lieblingsbikini, und es wird fleißig eingecremt.

Hänsel hat sich die Strecke ausgesucht, die sie vor ein paar Tagen schon gefahren sind. Ob das eine gute Idee ist, wird sich noch herausstellen. Voller Vorfreude schmiert er Brote, wäscht Obst ab und bereitet die Trinkflaschen vor. Die Mutter freut sich auf eine erholsame und entspannte Radltour.

Gelandet sind sie dann doch wieder am Happy Place. Die Kinder spielen friedlich am Wasser, die Mutter genießt die Sonne.

Bis die Kinder alles voll fett finden. Der See ist voll fett. Der Stock ist voll fett. Die Hummel ist voll fett. Die Banane ist voll fett. Dass Hänsel Milchbrötchen eingepackt hat, ist voll fett. Der Hintern von der Mutter ist voll fett. Bitte was?

Als die Sonne langsam hinter den Bäumen verschwindet, verschwinden auch die Kinder. Die Mutter hatte angekündigt, bald heim zu wollen. Die beiden aber nicht. Also rennen sie, was das Zeug hält. Die Mutter bleibt sitzen und wartet. Auf dem Heimweg wollen sie an ihrem See zuhause vorbei und schauen, ob sie die angekündigte Steinschlange finden. Hänsel möchte los, ihm ist langweilig, Gretel möchte bleiben. Mit dieser Aussage lassen sie die Mutter wieder alleine und sammeln weitere Stöcke. Und schon ist auch Hänsel nicht mehr langweilig, wie er strahlend verkündet.

Kurz darauf entfacht ein Streit, wer dieses eine Schneckenhaus, eines von gefühlten hundert, gefunden hat. Gretel, die eben noch fröhlich eine total überdrehte Sprachnachricht inklusive Liebeserklärung verschickt hat, beginnt jämmerlich zu weinen. Sie fahren heim. Ohne den heimischen See aufzusuchen. Ihnen ist kalt und sie haben Hunger. Die Kinder wünschen sich Nudeln. Als sie nach Hause kommen, trinkt die Mutter ein Bier und die Kinder machen Pizza. Heute war ein guter Tag.





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