Gretel träumt noch süß und aus Hänsels Zimmer dringen bereits die Stimmen seiner Geschichte, als die Mutter nach einer erneut sehr kurzen Nacht aufwacht. Aufgewacht wird. Es ist der Wecker, der ihren Schlaf beendet, obwohl ihr Körper noch nicht bereit dazu ist.

Ein Blick zu dem kleinen Mädchen neben ihr macht es der Frau etwas leichter und zeitgleich auch schwerer. Leichter, weil sie gerne für ihre Kinder aufsteht und den Alltag mit ihnen erlebt, schwerer, weil sie sich gerne zu ihr kuscheln und mit ihr im Arm noch ein paar Stunden schlafen würde.

Kaffee. Es muss jetzt unbedingt ein Kaffee her. Fast schon lachen muss sie, als ausgerechnet jetzt nicht nur Wassertank leer und der Kaffeesatzbehälter voll sind, sondern die Maschine auch noch nach einer Entkalkung schreit. „Nicht jetzt, Schatz, nicht jetzt.“ denkt die Mutter und ignoriert den Warnhinweis.

Mit ihrem schwarzen Glück setzt sie sich zu dem inzwischen aufgestandenen Hänsel an den Arbeitsplatz. Auch die Mutter muss lernen, ob sie das heute schafft, ist unsicher.

Sie wird von einem sanften „Guten Morgen“ aus ihren Überlegungen gerissen. Gretel ist wach und fordert das allmorgendliche Ritual ein. Recht hat das Mädchen, so dass die Mutter ihren Kaffee stehen lässt und sich zu ihrer Tochter begibt. Hänsel bevorzugt an Schultagen die Kurzvariante, aber auf diese besteht auch er beharrlich. Die Mutter ist stolz auf ihre Kinder.

Und muss schmunzeln. Denn Gretel hat Kinder-Yoga für sich entdeckt. Der Mutter sind die meisten Yoga-Trainerinnen zu esoterisch, das Mädchen aber steht sowohl auf die Stimmlage als auch auf die Inhalte. Sie bittet darum, auch heute wieder einige Einheiten absolvieren zu dürfen. Darf sie. Wenn auch der Singsang und das Gesäusel die Mutter nicht sonderlich erfreuen, das Mädchen hat Freude und darauf kommt es an.

Als Hänsel kurze Zeit später Pause hat, traut die Mutter ihren Augen nicht. Der Junge trabt langsam, aber zielgerichtet auf seine Schwester zu. Seinen Gesichtsausdruck kann die Mutter nicht erkennen, wohl aber hören, dass Gretel ihn bekräftigt, da er ihr wohl versprochen habe, mitzumachen. Opps, da war der Junge wohl ebenfalls sehr übermüdet, um solch ein Versprechen zu geben. Er verflucht sich sichtlich dafür, die Mutter muss lachen.

Später gehen die Mädels raus. Eigentlich war angedacht, dass alle drei ein wenig frische Luft und Bewegung brauchen könnte, Hänsel hat es sich jedoch spontan anders überlegt. So rollert Gretel neben der Mutter durch den Ort. Die Zeit nutzen sie für eine Mädchen-Unterhaltung.

Wenig überraschend ist es, dass sowohl der Wohn- als auch der Küchenbereich nach ihrer Rückkehr vollgemüllt sind. Hänsel räumt sein Zimmer auf. Mit der gemeinsam erstellten Punkteliste geht die Mutter die vereinbarten Stellen ab. Der häusliche Inzidenzwert schießt ins Unermessliche. Die Geduld der Mutter nimmt der Wert ebenfalls mit ins Nirvana. Sowieso schon mies gelaunt checkt die Frau auch direkt die Landkreis-Inzidenz. Wenn es auch erst morgen verkündet wird, so ist sich das müde Menschenkind sicher, dass ihre Kinder auch in der kommenden Wiche zuhause für Ordnung, Glückseligkeit und gute Laune sorgen werden. Der Wert liegt auf gleicher Höhe wie der häusliche am Vortag. Hoffentlich verdoppelt sich die Landkreis-Inzidenz nicht ebenso wie die der Familie, denkt die Mutter und bei sich und verhängt die abendliche Zimmerausgangssperre.


Coaching empfehlen