Die Radltour am Vortag endete mit drei pitschnassen, nach Hause eilenden Radfahrern. Die Mutter und Gretel gehen noch einkaufen, mit Maske ein sehr komisches Gefühl. Hänsel möchte heim und sein Zimmer aufräumen. Natürlich wird er das nicht tun.

Während die Mutter das Abendessen zubereitet, befiehlt Gretel ihrer Alexa, dass sie ein Märchen abspielen solle. Das Gerät ist überfordert, weiß nicht, welches das Mädchen hören möchte. „Na, welches wohl? Hänsel & Gretel natürlich!“ Den Klugscheißer-Ton könnte das Mädchen vielleicht von ihrer Mutter haben. Eventuell.

Auch nach dem Abendessen spielen die Kinder mit der Alexa. Sie wollen wissen, wie alt sie ist (Antwort: Es gibt sie seit dem 06.11.2014) und ob es sie früher schon einmal gegeben hat (Antwort: Irgendwas mit Bananen und Jogurt.) Plötzlich schwenkt die Stimmung um. Die Kinder erfragen die Anzahl der Todesopfer im ersten Weltkrieg. Hui, wo kommt das denn auf einmal her?

Nach einer sehr ausführlichen Antwort, die alle drei ein wenig mitnimmt, fragen die beiden ihre Mutter über deren Großeltern aus. Ob diese im Krieg gestorben sind, ob sie Geschwister hatten und mit wem die Uroma als Einzelkind denn dann gespielt hätte. Da es bereits fast Schlafenszeit der Mutter ist, hat diese wenig Ambitionen auf intensive Gespräche zu solch ernsten und traurigen Themen einzugehen. Sie beantwortet die Fragen, verspricht ein aufschlussreiches Gespräch am nächsten Tag und schickt die Kinder ins Bett. Bier und Intrigen ist das, was sie nun möchte.

Als sie am nächsten Morgen aufwacht ist es noch sehr früh. Es regnet. Perfektes Laufwetter, aber nun ist sie erst einmal faul. Nicht einmal Kaffee bewegt sie zum Aufstehen.

Sie schaut ihre neben ihr liegende Tochter an. Süß schlummert sie vor sich hin, als sie das Lachen anfängt. Zu gern wüsste die Mutter, wovon das kleine Mädchen träumt. Sanft legt sie ihren Arm um den kindlichen Körper und gibt der Kleinen einen Kuss. Sie ist sehr dankbar dafür, die zwei frechen Rotzlöffel in ihrem Leben haben zu dürfen.

Hänsel ist heute mit seinem Vater verabredet. Und seine Prüfungsvorbereitung geht los. Der Mutter graust es davor, den Jungen wecken zu müssen. Hilft nichts, da muss sie durch. Bei dem Jungen stößt der Weckangriff auf wenig Begeisterung. Viel lieber würde er bis mittags weiterschlafen und dann nichts tun. So gut ihn die Mutter auch versteht, er muss aufstehen. Er muss mit dem Vater ins Büro fahren. Dass der Mutter das nicht gefällt, wird von beiden Herren ignoriert.

Nun braucht sie einen Kaffee. Aber Gretel schläft noch. Ungern möchte die Mutter sie wecken. Sie muss sich entscheiden. Kaffee.
Gretel wacht auf. Die Mädels sitzen beim Frühstück und überlegen, was sie mit dem Tag anstellen können. Gretel schlägt einen Guck-Tag vor. Ach wie schön, dass die mütterlichen Gene so offensichtlich in dem Kind vorhanden sind. Die Idee der Mutter, Mord und Totschlag zu schauen, stößt allerdings auf wenig Begeisterung. Etwas von Disney+ meinte die Kleine. Die Mutter darf aussuchen. Die Entscheidung fällt auf Rapunzel.

Beide sind noch im Schlafanzug, als sie sich auf die Couch kuscheln und schon morgens einen Film schauen. Danach geht’s weiter mit Benjamin Blümchen. Als die Mutter sich erdreistet zu telefonieren, holt sich Gretel das Tablet und schaut dort weiter. Für die Mutter weiterhin kein Mord und Totschlag, dafür aber Kaffee.

Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Immer noch im Schlafanzug überlegt die Mutter, doch noch raus zu gehen. Durch Pfützen radeln könnte auch Gretel Spaß machen. Die wendet den Blick jedoch nicht vom Tablet ab. Also unterhält sich die Mutter mit zwei Freundinnen.

Es klingelt. Die Oma steht vor der Tür. Sie bringt ihren Lieben Leberkässemmeln und frisches Brot samt Aufschnitt. Wie praktisch. Zumindest in der Theorie. Denn nur kurze Zeit später hat die Mutter nicht nur eine der Leberkässemmeln verputzt, sondern auch das halbe Brot. Offensichtlich hatte sie Hunger.

Es ist inzwischen später Nachmittag.

Gretel sitzt mit Semmel immer noch im Schlafanzug vor dem Tablet. Pfützen und das Fahrrad interessieren sie nicht. Hin und wieder pausiert sie ihre Serie, um auf’s Trampolin zu gehen. Anziehen sieht sie nicht ein.

Mit vollgestopftem Bauch sitzt die Mutter neben ihr auf der Couch. Auch bei ihr sind wenig Elan und Ambitionen vorhanden. Obwohl sie bereits ihre Laufklamotten anhat, mag sie nicht raus.

Gretel kommt und gibt ihr ein Küsschen. „Maaaaaami, darf ich ein Jogurt? Essen!“ – „Ja, darfst du.“ – „Ich esse auch nur eines. Das andere lasse ich natürlich für Hänsel da!“

Selbstverständlich lässt sie das andere für Hänsel da. Erziehung wirkt tatsächlich. Die Mutter ist beeindruckt.

Wo bleibt Hänsel eigentlich? Sie fragt nach. Unerwartet erhält sie eine Antwort. Kurz und knapp, aber informativ.

Mist. Sie hätte nun noch Zeit, eine Runde zu laufen. Sogar eine große. Aber der Magen ist so voll. Und Gretel so im Schlafanzug. Und Feierabendverkehr ist auch noch. Es könnte sein, dass die Mutter mit dem Anziehen der Laufsachen heute ihr Soll erfüllt hat. Strafend sieht ihre Fitnessuhr sie an. Schrittzahl dreistellig, Kalorienverbrauch deutlich unter dem, was sie heute bereits gegessen hat. Bikinifigur muss warten. Heute mag sie nicht mehr laufen.

Pling. Als Gretel vormittags beschlossen hat, mamilike ihre Schorle aus einem Weißbierglas zu trinken, hielt nur eines der Mädels das für eine gute Idee. Die andere hielt den Mund. Die eine kehrt nun die Scherben zusammen, während die andere glücklich ist, dass es nicht ihr personaliertes Lieblingsglas war.

Praktisch sind die Scherben dennoch. Zum einen bringen sie Glück, zum anderen saugt Gretel Staub. Die Mutter mag ihre Wohnung ordentlich und sauber, die Kinder eher nicht so. Bei Glasscherben sind sie alle einer Meinung.

Freude kommt auf. Die Mutter, im Moment schwer mit Duck Tales schauen und Gretel kuscheln beschäftigt, wird in eine Diskussion mit dem Vater verwickelt. Er möchte Hänsel’s Schulsachen sukzessive wieder an sie zurückübertragen. Dass er den kürzeren ziehen wird, hat er immer noch nicht gelernt. Ziemlich genervt stimmt er nach einem Schlagabtausch der Mutter zu, dass der Junge abends keine Aufgaben mehr erledigen wird, nachdem er einen vollständigen Arbeitstag bei ihm verbracht hat und damit ausreichend Zeit für Aufgaben gewesen wäre. Die Mutter lächelt zufrieden. Ein wenig überheblich. Sie geht davon aus, dass Hänsel heute seinem Vater ein wenig von dem Hänsel präsentierte, den sie seit Wochen zu Hause genießen darf. Nicht umsonst hat die Mutter die Lehrerin bereits informiert, dass sämtliche Schulsachen nur noch mit dem anderen Elternteil erfolgen werden. Wird auch er noch verstehen.

Die Mädels freuen sich, dass Hänsel gleich nach Hause kommt. Er wird hungrig sein. Ein Hoch auf die Oma, dass die Mutter nicht kochen muss. Sie sind gespannt auf seine Laune. Und werden überrascht. Er telefoniert fröhlich mit Oma und Opa, erzählt von seinem Tag und freut sich, dass er etwas zu essen bekommt. Noch einhundertfünf Minuten, bis er ins Bett geht. Vielleicht, ganz vielleicht, verlaufen alle diese Minuten ebenso entspannt. Bier gibt’s für die Mutter später trotzdem. Für Gretel, die wie wild gestochen im Wohnzimmer auf und ab rennt, gibt es keines mehr.




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