Als die Mutter aufwacht, schickt sie als allererstes ein Stoßgebet zum Himmel. Die Bilder des gestrigen Unfalls haben sie die Nacht über begleitet. Für den verhältnismäßig glimpflichen Ausgang bedankt sie sich bei ihren Schutzengeln.

Sie lauscht der Umgebung. Bis auf die gut befahrene Hauptstraße hört sie nichts. Die Kinder sind nicht da. Beide haben bei den Großeltern übernachtet. Beide werden von der Mutter nun schmerzlich vermisst.

Ein Blick auf die Uhr verrät ihr, dass die Arztpraxis bereits geöffnet ist. Sie braucht einen Termin, um die Kniescheibe prüfen zu lassen.

Anschließend entdeckt sie die Nachricht ihres Vaters: Fotos von ihrem Geburtstagskind. Das Mädchen freut sich so sehr über ihren rosa Einhorn-Kuchen, dass der Mutter Tränen in die Augen schießen. So gerne hätte sie ihre Tochter nun bei sich und würde gemeinsam mit ihr in diesen Tag starten.

Stattdessen liegt sie bewegungslos im Bett. Schmerzen hat sie verhältnismäßig wenig. Der Kopf pocht und auf dem linken Auge sieht sie auf Grund der Schwellung darunter nur die obere Hälfte. Das Knie ist ruhig gestellt und wird sich erst später, bei Belastung, bemerkbar machen.

Vorsichtig fragt sie beim Vater der Kinder an, ob er in der nächsten Zeit die Kindergartentouren mit Gretel übernimmt. Die Hoffnung auf ein einfaches „ja, natürlich“ sind verschwindend gering. Nun aber muss sie erst einmal, voraussichtlich lange, auf eine Rückmeldung warten.

Zu ihrer Überraschung erhält sie schnell eine Antwort. Nicht auf die gestellte Frage, aber immerhin eine Reaktion. Vielleicht kann sie ja doch auf eine Unterstützung seinerseits zählen.

Sie lässt sich zum medizinischen Check chauffieren. Als wären die vorhandenen Verletzungen noch nicht ausreichend, bekommt sie beim Aussteigen die Autotür mit voller Wucht auf zwei Finger.

Schmerzerfüllt kämpft sie sich auf ihren Krücken in die erste Etage zu ihrem Termin. Die folgenden Wochen wird sie viel Zeit in ärztlichen Praxen verbringen dürfen. Ihre Begeisterung hält sich in Grenzen. Sie erhält zahlreiche Zettel mit Überweisungen, Medikamenten und Informationen, was die nächsten Wochen zu tun ist.

Sie kämpft sich die Treppe wieder nach unten. Das Auto springt nicht mehr an. So hat das Oma-Mutter-Gespann ausreichend Zeit, über Gott und die Welt zu plaudern. Unter anderem darüber, dass die Oma vor einigen Tagen erst geträumt hat, dass ihre Tochter im Krankenhaus ist und sie sich um die Kinder sorgt.

Wenn die Mutter auch sonst der realistische Typ ist, verursacht diese Erzählung ihrer Mutter ein latentes Unbehagen.

Vom Pannendienst versorgt fahren die beiden heim. Vor der Party möchte sich die Mutter ausruhen. Der Vormittag war sehr anstrengend für ihren Kopf.

Entspannt liegt sie auf dem Balkon, als Hänsel kommt. Liebevoll nimmt er seine lädierte Mutter in den Arm und fragt, was er ihr helfen kann. Dankend lehnt die Mutter ab, sie braucht nichts. Er sieht das anders und bringt ihr seinen Sorgenfresser. „Mami, mach den Reißverschluss auf, sprich all deine Sorgen rein und dann mach den Verschluss ganz schnell wieder zu.“ So ein zauberhaftes Geschöpf.

Die beiden unterhalten sich noch eine Weile, bevor der Junge wieder zurück zur Oma läuft. Die Mutter schläft.

Später wird sie zur töchterlichen Geburtstagsfeier abgeholt. Die Party ist schön und die Birthday-Prinzessin glücklich.

Gretel genießt ihre Geschenke und freut sich, dass alle um sie herum sind. Sie nascht vergnügt Kuchen und ist Chef für einen Tag. Nach dem Grillen verteilt sie großzügig ihre geliebten Schokoriegel. Später wird sie erzählen, dass das ein wundervoller Tag für sie gewesen ist.

Beide Kinder möchten bei ihrer Mutter schlafen. Rührend kümmern sie sich um sie. Hänsel bereitet die Brotzeit für Gretel vor, das Mädchen schläft bei der Mutter im Zimmer, aber nicht in ihrem Bett.

Hänsel bietet an, dass er Gretel pünktlich zum Kindergarten am nächsten Tag wecken wird. Dankend nimmt die Mutter dieses Angebot an. Vorsichtshalber aber stellt sie sich selbst auch einen Wecker.


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