In völliger Ruhe und idyllischem Autolärm im Hintergrund setzt sich die Mutter auf den Balkon und beginnt ihren Arbeitstag. Sie wird heute sehr fleißig sein.

Nachdem sie ihren Arbeitstag beendet haben wird, fährt sie mit den Kindern zum Spielplatz. Das haben die drei gestern bereits beschlossen. Bis dahin wird noch viel Kaffee in die Mutter hineinfließen.

Schon früh erhält die Mutter einen Anruf. Es ist ein guter Anruf. Wenn auch erst auf den zweiten Blick. Aber er bietet ihr eine Möglichkeit, auf die sie die letzten Tage sehnsüchtig gewartet hat. Sie bereitet freudig alles vor.

Die Kinder spielen. Hänsel kann es kaum abwarten, dass die Mutter diese Mail abschickt. Als sie es getan hat, überlegt sie einen Moment, ob es richtig war. Ihr Sohn aber ist so glücklich über diese Entscheidung, dass sie alle Zweifel schnell beiseiteschiebt.

Die drei ziehen sich an, packen ihre Sachen und fahren los. Während die Kinder auf dem Spielplatz toben, arbeitet die Mutter noch ein wenig.

Als sich der Akku des Laptops dem Ende neigt, sind die Kinder nicht zu sehen. Die Mutter lehnt sich entspannt, aber etwas hungrig, zurück und lässt die Sonne an ihrem Sommerteint arbeiten. Die Zeichensachen, die sie ebenfalls eingepackt hat, wird sie ungenutzt wieder mit nach Hause nehmen. Ideen hätte sie zahlreich, jedoch fehlt ihr im Moment die Lust.

Kopfweh beginnt. Das kann sie nun überhaupt nicht brauchen. Die drei wollen das Wochenende mit ausgiebig Quality time befüllen, bevor Hänsel am Montag wieder zur Schule darf.

Wie die Schulzeit künftig für ihn aussehen wird, wissen sie noch nicht. Freitagnachmittag, siebzehn Uhr ist bereits vorbei. Auch ein erneutes Abrufen der Mails bringt keine Informationen. Es sind ja noch zweiundsechzig Stunden, bis der Unterricht wieder beginnen soll.

Die Kinder spielen. Auch ihre Priorität liegt auf dem Spielplatz. Gretel hat Hunger. Sie ist traurig, dass die Mutter nichts zu essen mitgenommen hat. Nach Hause möchte sie nicht. Ehe sich die Mutter versieht, ist das Mädchen wieder verschwunden.

Die Mutter liegt in der Sonne und träumt sich in ein Leben, wie sie es gerne hätte. Erst heute Vormittag hat Hänsel sie gefragt, warum sie ihren Traum nicht verwirklicht hat. Schöne Frage. Leider hatte sie keine schöne Antwort. Aber eine ehrliche. Der Junge nimmt sie in den Arm und bekräftigt sie darin, es eines Tages zu realisieren.

Er ist so ein guter Junge. Sie liebt ihn sehr. Ihn und seine immer mehr werdenden Sommersprossen.

Sie liegt immer noch in der Sonne. Als sie die Augen wieder aufmacht, sitzt da auf einmal ein kleines Mädchen. Ein fremdes, sehr kleines Mädchen. Sie klaut das Sandspielzeug von Hänsel und Gretel. Wenn die Mutter dieses Mädchen jetzt einpacken würde, hätte Gretel ihre gewünschte Schwester. Glücklicherweise wird das Mädchen von ihrer Mama später wieder eingesammelt. Das Spielzeug und die Gewissheit, kein weiteres Kind mehr zu wollen, lässt sie bei der Mutter zurück.

Gretel, die kurzzeitig vorbeigeschaut hat, ist wieder weg. Die Kinder machen keine Anstalten, jemals wieder nach Hause zu wollen. Die Mutter auch nicht. Zwar zollen drei Liter Wasser und diverse Becher Kaffee langsam ihren Tribut und Hunger hat sie auch, aber da Zuhause ansonsten lediglich das Ladegerät und damit zehn weitere Seiten Lektorat auf sie warten, bleibt sie lieber liegen.

In sicherer Entfernung zur Mutter diskutieren die Kinder. Gretel hat Hunger und möchte etwas essen. Hänsel erklärt ihr, dass die Mutter nichts zu essen dabei hat und sie zum Essen heim müssten. Entschlossen, diese Option nicht zu realisieren, zieht er seine Schwester zurück auf den Spielplatz. „Letztes Mal ging es mir so, jetzt musst du da durch!“ Die prä-pubertäre Empathie ist grenzenlos. Gretels Spielwille ebenfalls. Wortlos folgt sie ihrem Bruder.

Spätestens, wenn der Akku des mütterlichen Handys ebenso leer ist wie der des Laptops, wird sie die Kinder zum Heimfahren drängen. Dauert aber noch dreißig Prozent.

Eine Stunde später und fünfzehn Prozent Akku weniger verliert die Sonne langsam an Intensität und die drei packen nun doch langsam zusammen.

Zuhause werden sie feststellen, dass sie besser noch einkaufen gegangen wären. Sowohl der Tiefkühler als auch der Vorratsschrank halten kaum mehr etwas bereit. Nudeln können sie essen. Mit Ketchup. Die Kinder freuen sich. Die Mutter öffnet sich ein Bier.

Es klingelt an der Tür. Die Nachbarin quatscht ein wenig mit der Mutter, die davon ausgeht, dass Hänsel in er Zwischenzeit die Nudeln macht. Tut er aber nicht, wie sie später feststellt.

Sie macht einen Salat. Mango-Mozzarella. Dazu ein Bier. Gretel isst mit. Hänsel ist stinkig. Weswegen weiß er wahrscheinlich nicht einmal selber. Die Mutter freut sich drauf, die Kinder gleich ins Bett zu schicken. Sie checkt das Bier im Kühlschrank. Ausreichend da, für einen langen Abend. Sie stellt sich einfach tot.





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