Der Tag beginnt mit einem Donnerwetter. Nachdem die Mutter bei Zimmer und Schulsachen ihres Sohnes resigniert hat, war seine einzige Aufgabe, vor dem gestrigen Schlafengehen die Wäsche fertig zu machen. Selbstverständlich hat er auch das nicht erledigt. Ooops, vergessen. Wenn das Kind so weitermacht, wird die Mutter sicher auch bald einiges vergessen.

Um sich ein wenig von dem Theater abzulenken, beginnt die Mutter mit den Osterkarten, die sie den Kindern versprochen hat vorzubereiten und gemeinsam zu verteilen. Warum hat sie das gleich wieder getan? Naja, zumindest werden sie heute für die Auslieferung der Karten einiges an Kilometern zusammenbekommen. Ob es nun ein Vor- oder Nachteil ist, dass die meisten Lieblingsmenschen relativ nahe wohnen, sieht jeder der drei anders. Die nicht in der Nähe wohnenden Lieblingsmenschen bekommen später einen digitalen Gruß.

Vor der Auslieferung aber verschönert Gretel noch die Karten für ihre Mädels und, ganz wichtig, Prinz Charming, Hänsel wünscht seinem besten Freund indes mit seiner Karte schöne Tage am PC.

Freudestrahlend läuft Hänsel anschließend zum Schokolade kaufen und Gretel versorgt ihre Mutter mit Kaffee. Vielleicht ist das ja doch der Start in ein paar entspannte Tage. (Stimme aus dem Off: Natürlich ist es das nicht.)

Die Radltour startet zu dritt und verhältnismäßig entspannt. Das erste Ziel ist Gretels Freundin um die Ecke. Das ist schnell erreicht und alles wird im Briefkasten verstaut. Nach der verneinten Antwort auf die Frage, ob denn der Briefkasten an Corona leiden würde, geht die Fahrt weiter. Über Wiesen und Felder an Straßen entlang zur nächsten Familie und nach einem, für die Kinder viel zu langem Ratsch am Gartenzaun, wieder zurück.

Die Mutter erklärt die weiteren Ziele und erlaubt Hänsel, so weit vorzufahren, bis er nicht mehr weiß, wo es als nächstes lang geht. Er freut sich, nun nicht mehr die Geschwindigkeit von seiner Schwester vorgegeben zu bekommen.

Keine fünf Minuten später ist er verschwunden.

Da Gretel ohne Gangschaltung eine fiese Steigung zu überwinden hat, schiebt sie. Die Mutter tut es ihr gleich. Oben angekommen, kann das rote Shirt von Hänsel nirgends mehr ausgemacht werden.

Wenn Mutter und Tochter in dreieinhalb Stunden wieder nach Hause kommen werden, wird Hänsel ihnen erzählen, dass er vergessen habe, dass es noch weitere Adressaten gibt. Versehentlich sei er nach Hause gefahren und natürlich hat der arme Junge vergessen, dass er die Zeit auch nur im Ansatz hätte sinnvoll nutzen können.

Die Mutter implodiert.

Die Mutter versucht, sich nichts anmerken zu lassen.

Plaudernd fahren die Mädels weiter, es liegen noch einige Adressen und noch viel mehr Kilometer vor ihnen. Doch sie haben Spaß und Gretel singt fröhlich vor sich hin.

Nächstes Ziel ist die meistens-beste-Freundin von Gretel. Auch hier wird lustig auf Abstand ein kleiner Plausch gehalten, bevor es weiter zu Hänsels Freund geht.

Gretel versteht nicht, warum sie alleine zu dem Jungen fahren und ruft strafend nach ihrem Bruder. Natürlich kann er sie nicht hören, befindet er sich doch etwa fünf Kilometer entfernt in seinem Bett. Gretel ist traurig. Traurig, dass ihr Bruder bei dieser schönen Radltour an diesem wunderbaren Tag nicht dabei ist, aber auch traurig, dass Hänsel die Mutter so oft zum Weinen und Schreien bringt.

Die Mädels radeln weiter, sprechen über vieles, aber nicht mehr über Hänsel. Stattdessen informiert das Mädchen seine Mutter, dass es später gerne wieder einen Kinderpunsch trinken würde. Darauf freut sie sich schon sehr.

Nun aber müssen sie einen beschwerlichen Weg auf sich nehmen. Beschwerlich deswegen, weil Gretels Lust am Radeln langsam nachlässt. Aber sie will unbedingt weiterfahren.

Endlich bei Prinz Charming angekommen, ist Gretel entsetzt. Anders als bei den vorherigen Zielen, öffnet ihr hier niemand. Das kann doch nicht sein! Sie möchte sofort von ihrer Mutter wissen, wo er denn ist. Überfordert, weil sie die Antwort nicht weiß, versucht diese ihrer Tochter zu erklären, dass die beiden sicherlich nicht die einzigen sind, die das schöne Wetter zum Radeln genutzt haben. Ob er denn nicht wisse, dass sie ihm einen Ostergruß bringt, fragt sie vorwurfsvoll. Die Mutter versucht, sie zu beruhigen. Er weiß, wie alle anderen, bei denen sie heute waren, nicht, dass sie kommen würden. Zwei große braune Augen schauen verdutzt zur Mutter hoch. Ein leises „Oh!“ und einen traurigen Blick später ist Gretel bereit, den Gruß in den Briefkasten zu werfen und heimzufahren.

Es ist inzwischen früher Abend, im Wald ist es schattig geworden. Das hält Gretel aber nicht davon ab, sich die Bäume um sie herum alle ganz genau anzuschauen. Sie ist müde. Knapp dreißig Kilometer wird sie heute geradelt sein, wenn sie zu Hause ankommt.

Als letzte Station stehen noch Oma und Opa auf dem Plan. Frechheit. Denn auch hier läuft es nicht wie geplant.

Gretel legt, wie bei den anderen, Karte und Schokolade auf der Fußmatte ab, klingelt und weicht auf den erforderlichen Abstand zurück. Opa macht die Tür auf und freut sich. Aber keine Oma da! Wie kann denn das sein. Während die Mutter mit ihrem Vater quatscht, malt Gretel das benachbarte Grundstück mit Steinen an. Nebenbei beteuert sie, wie fit sie ist.

Sie fahren heim.

Schon während das Essen im Ofen vor sich hin gart, kämpft Gretel dagegen an, einzuschlafen.

Hänsel bleibt ruhig in seinem Zimmer und meidet jeglichen Blickkontakt zur Mutter. Das wird ein ruhiger Abend. Erstes Bier ist ausgetrunken, das zweite folgt sofort.


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