Der Abend wird länger als gedacht. Die Oma bringt überraschenderweise noch Vitamine vorbei, über die sich Hänsel direkt hermacht. Auch das frische Brot wird von den Kindern dankbar verschlungen.

Gretel spielt im Wohnzimmer, Hänsel zockt im Pubertierzimmer, die Mutter ist vom Ungetüm genervt. Alle gehen später schlafen als sonst. Alle schlafen aus.

Heute findet für Hänsels Klasse digitaler Unterricht statt. Da er krankgemeldet ist, muss er nicht teilnehmen. Dennoch bittet die Mutter ihren Sohn, den Laptop zu Unterrichtsbeginn einzuschalten, wenn es ihm entsprechend geht. Den Anschein hat es am Abend nicht gemacht, morgens wird dieser Eindruck bestätigt.

Ein erster Stein fällt der Mutter dennoch vom Herzen: Der gestrige Test bringt ein negatives Ergebnis hervor.

Trotzdem wird Hänsel auf Grund des Kontaktes noch mindestens heute und weitere drei Tage in Quarantäne verbleiben müssen. Stört den Jungen allerdings eher wenig, er schläft sowie den Großteil des Tages.

Die Mutter, immerhin auch mit zehn Stunden Schlaf im Gepäck, versucht, in das vom Ungetüm verursachte Chaos Ordnung zu bringen, gibt aber schnell verzweifelt wieder auf. Stattdessen bereitet sie Gretel darauf vor, dass sie später noch eine Runde rausgehen und auf dem Rückweg im Supermarkt vorbeischauen werden. Vielleicht.

Für den Abend wünschen sich die Kinder das obligatorische Ferienstart-Ritual: Burger, Brownies und Film. Ob das eine gute Idee ist, wagt die Mutter zu bezweifeln, wird sich aber nicht den Essenswünschen ihrer Kinder entgegenstellen. Kochen geht aktuell eh nicht wirklich und auch die Option „Essen bei den Großeltern“ fällt aus.

Erst einmal aber erreicht sie eine Anfrage vom Vater der Kinder. Er möchte wissen, ob die Kinder über den Jahreswechsel mit ihm in einen der deutschen all-time-Hotspots reisen möchte, um die Großeltern zu besuchen. Dass sich sein Sohn in Quarantäne befindet – egal! Dass in ihrem Bundesland der Katastrophenfall herrscht – egal! Dass unsinnige Reisen und zu viele Kontakte gemieden werden sollen – egal!

Nicht nur der Mutter fällt die Kinnlade herunter. Hänsel ist richtig sauer. Hat er sich nicht deutlich ausgedrückt, als er kundtat, dass er sich melden würde, wenn er den Vater sehen möchte? Gelten die Vorgaben, auf Grund derer er sich in den letzten Wochen und wohl auch in den kommenden einschränkt, nicht für seinen Vater? Hänsel ist sauer. Richtig sauer.

Wütend stapft er in sein Zimmer. „Nein“ soll die Mutter antworten, „einfach nur nein“. Sie setzt sich über den Wunsch ihres Sohnes hinweg, und antwortet überhaupt nicht.

Hänsel schläft ein. Als er zur Abendessen-Vorbereitungszeit sechs Stunden später immer noch nicht wieder wach ist, beschließt die Mutter, dass das Ferienstart-Ritual verschoben wird.

Stattdessen füllt sie den Kühlschrank mit Gerichten, für die sie sich möglichst wenig in der Küche aufhalten muss. Für heute gibt´s Tiefkühlpizza, auf Gretels Wunsch.

Da es die präferierte Variante nicht fertig gab, wird die Schinkenpizza kurzerhand um jede Menge Ananas aufgepimpt, in der Hoffnung, dass Hänsel mit dem „Ich bin fertig“-Klingeln des Backofens auch wieder wach sein wird. Mitfühlend erklärt Gretel ihrer Mama, „Hänsel braucht den Schlaf jetzt, das tut ihm gut und ist wichtig, dass er wieder gesund wird“.

Das Mädchen holt seine Musikschultasche und spielt ihrer Mutter Lieder, die es im Kindergarten gelernt hat, vor. Dazu singt sie fröhlich. Die Mutter sitzt einfach nur da und hört ihrer Tochter zu.

Als das Essen fertig ist, schläft Hänsel immer noch. Und das, obwohl sich die Wartezeit deutlich verlängert. Die Mutter hat vergessen, den Ofen auch einzuschalten.

Die Mädels stellen Hänsels Pizza warm und essen allein. Gretel stellt fest, dass die Pizza zwar lecker ist, die selbstgemachte aber um Längen besser schmeckt. Mit dieser Aussage entlockt sie ihrer Mutter ein Lächeln. Beide vermissen Hänsel.


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