Der satanische Schönling hat die Mutter noch lange wach gehalten. Auch aus den Kinderzimmern dringt noch zu später Stunde eine Geschichte. Am Schlafrhythmus müssen die drei noch arbeiten.

Die Nacht war grauenvoll. Gretel kommt spät abends schon zur Mutter gekuschelt. Die Nacht über spielt sie Helikopter, sie dreht sich pausenlos und ständig hat die Mutter einen Arm, ein Bein oder auch mal den Kopf ihrer Tochter im Gesicht, in der Magenregion oder sonst wo. Zu allem Überfluss klingelt irgendwo in der Wohnung ab vier Uhr in einem Snooze-Takt von weniger als zehn Minuten ein Wecker. Morgens will es niemand gewesen sein. Keines der Kinder kann sich erinnern, dass die Mutter auf nächtlichem Streifzug gewesen ist und alles ausgeschaltet hat, was die Töne hätte von sich geben können.

Schon beim Aufwachen ist die Mutter kaputt. Ihr tut alles weh, sie ist müde und eigentlich möchte sie nur schlafen. Geht aber nicht. Sie hat heute ein Date, dass sie unter keinen Umständen absagen wird.

Nachdem die Kinder aufgeräumt sind, radelt sie gemütlich zum Termin. Im Business-Outfit sind zwölf Kilometer doch etwas anderes als in gewohnt lässiger Kleidung.

Sie ist viel zu früh am Zielort. Entspannt holt sie sich einen Kaffee und lässt ihren Puls auf Normalzustand sinken.

Das Gespräch verläuft super. Ihr Gegenüber ist begeistert von ihr und möchte auf jeden Fall mit ihr zusammenkommen. Ob auf die angedachte Weise oder in einem flexiblen Rahmen werden sich beide noch überlegen.

Glücklich verlässt die Mutter die Räumlichkeiten. Eine solche Wertschätzung, wie in der vergangenen Stunde hat sie in den letzten Monaten nicht erfahren.

Sie beschließt, nicht den direkten Weg mach Hause zu nehmen. Stattdessen radelt sie über Land. Hier und da hält sie an, schießt ein paar Fotos und fährt gemütlich weiter.

Daheim angekommen wird sie von ihrem Sohn freudig empfangen. Als sie ihm mitteilt, dass sie einen Bärenhunger hat, eilt er in die Küche. Dort versieht er den vorbereiteten Salat mit Dressing und sie essen gemeinsam Salat-Wraps.

Hänsel hört im Anschluss in seinem Zimmer Musik. Die Mutter legt sich, mit Kaffee in der Hand, auf die Couch. Sie ist müde. Einschlafen sollte sie nicht, Gretel muss später abgeholt werden. Außerdem erwartet sie einen Anruf, der ebenfalls in Richtung Veränderung gehen könnte.

Während die Mutter nachmittags auf dem Balkon sitzend gegen ihre Müdigkeit kämpft, streiten sich die Kinder, wer auf dem Trampolin wie hoch springen darf.

Hänsel nimmt seine Mutter in den Arm. „Mami, schlaf doch einfach, ich bin ja noch da“, kümmert er sich rührend um das müde Stück Mensch, das ihn auf die Welt gebracht hat. Doch eben dieses Stück Mensch möchte nicht einschlafen. Denn dann ist sie abends auf jeden Fall zu fit. Wobei sie als Nachtmensch wahrscheinlich sowieso pünktlich zur Schlafenszeit die Müdigkeit ad acta legen wird.

Hänsel hat abends noch Training. Er freut sich schon sehr darauf. Gretel hat viele Freundschaften. Sie freut sich gar nicht, dass sie nicht alle jetzt in diesem Moment bei ihr zu Hause sind. Sie hat doch extra gestern ihr Zimmer aufgeräumt.

So eine Mutter ist schon etwas fieses. Ständig möchte sie etwas, dauernd verbietet sie etwas. Arme Kinder.

Und arme Mutter. Grade, als alle drei in der Küche stehen – die Kinder waschen ab, die Mutter bereitet Pfannkuchen zu – geht die wetterbedingte Absage für Hänsels Training ein.

War seine Laune auf Grund seiner Aufgaben im Haushalt bereits mies, ist sie nun schlagartig unterirdisch. Als hätte die Mutter die Sturm- und Hagelwarnung höchstpersönlich über den Sportplatz gejagt.

Erstaunlicherweise hält das Stimmungstief nur kurz an. Schon beim gemeinsamen Essen, die Hälfte der Pfannkuchen landet in Hänsels Magen, ist er wieder fröhlich. Und frech.

Lachend tanzt er durch das Wohnzimmer und informiert die Mutter, dass er sich so unglaublich auf Montag freue. Die unterrichtsfreie Woche versetzt ihr schulunwilliges Prä-Pubertier in Tanzlaune. Das kann ja heiter werden.

Draußen ist es grau. Die Mutter nutzt das schlechte Wetter und schickt die Kinder eine Stunde früher als sonst ins Bett. Ahnungslos legen sich die kleinen Arme um die Erwachsene und das Abendritual beginnt.

Anschließend startet die Mutter ihr eigenes Ritual: Couch, satanischer Schönling, Kuscheldecke. Bier hat sie schon wieder vergessen zu kaufen.

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